DV mit Orchesterwerkstatt in Lausanne
Rendez-vous musical in Lausanne vom 29. / 30. April 2006
Wir haben es gelesen: Der klassischen Musik droht das Aus! Eine klare Herausforderung also für den EOV, aufzurufen zu einer Demonstration gegen diese Behauptung. Es kann doch nicht tot sein, was noch neue Triebe schafft! Das Rendez-vous musical sollte zeigen, dass es in der Klassikszene zeitgenössische Komponisten, brillante junge Interpreten – und zahllose begeisterte Anhänger gibt.
Was ist daraus geworden?
Seien wir ehrlich: Der Anfang war nicht viel versprechend! Die Anzeige in der SMZ-RMS enthielt Fehlinformationen und Ansturm gab es keinen. Dass die Vorstandsmoral erhalten blieb, war vor allem der «3. Geige» zu verdanken: Von den ersten 14 Anmeldungen kamen neun von Bratschisten! Ein Hoch auf diese begeisterungsfähigen, kontakt freudigen Musikanten! Ein weiterer Aufsteller war das Vorbereitungstreffen in Lausanne: Die Organisatoren, das Orchestre AMABILIS Lausanne, zeigten sich voll engagiert und der Lac Léman einladend wie ein Meer.
Samstag, 29. April 2006
10.00 h, es ist soweit: Die ersten Gäste treffen im imposanten Château d’Ouchy ein. Wo kann ich mein Cello lassen? Kann ich mein Hotelzimmer schon beziehen? – Erwartungsfreude, Ferienstimmung, Lust auf Musik und neue Bekanntschaften. Die Delegiertenversammlung, von Präsident Daniel Schranz effizient geleitet, ist bald zu Ende. Es gibt nicht nur begeisternde Traktanden, aber die Hauptsache ist: Es geht weiter! Evviva la musica!
Dann: Erstes Wiedersehen-Feiern oder Kennen-Lernen draussen zwischen Schloss und See bei einem von der Stadt Lausanne gestifteten Apéro. Mmm, das ist savoir vivre! Doch schon geht’s an die Arbeit – freiwillig und mit Freuden. Die Kammermusiker üben herrschaftlichnobel im Salon Venice im Schlosshotel, die Sinfoniker sportlich-grossräumig im salle de gymnastique. Bei bester Laune dann die réunion: Musizieren macht hungrig – und durstig! Trotz köstlicher Verpflegung steigt der «Plauderpegel» bald auf ff an, mit decrescendi und rallentandi, wenn nach einem französischen, respektive deutschen Wort gesucht werden muss. Sonst aber fliesst der helvetische Gesprächsfluss in schönem legato dahin – bis das Duo Cellier Duperrex ihn jäh unterbricht. Kaum ein Küchengerät und weder Frucht noch Gemüse sind sicher vor diesen zwei genialen Musik-Komödianten! Eine völlig unpoetische Kehrichtschaufel wird zur Panflöte, eine gewöhnliche Rübe zur Klarinette – und das unbescholtene Publikum zum lachgeschüttelten und staunenden peuple. Musik in Variationen – hinreissend!
Sonntag, 30. April 2006
Freudiges Erwachen. Die Sonne scheint, der Léman verliert seine Meeresgrösse, bekommt Konturen. Im Park flöten die Vögel, die Lausanner bereiten sich für ihre Tour de Romandie vor – wir für unser Konzert. Die Noten unter dem Kopfkissen haben gewirkt: es tönt besser, man darf es wagen! 12.00 h: Füssescharren im salle de gymnastique des Gymnase Auguste Piccard – dann grosse Ruhe. Maurice Dentan hebt den Taktstock zur Konzerteröffnung durch Sibelius’ Andante festivo. Als grosser Gegensatz folgt Crisantemi von Puccini: Keine einfache Aufgabe für Laien, in so kurzer Zeit mit lauter unbekannten Mitspielern einzutauchen in eine so verinnerlichte Musik! Fast leichter, obwohl mehr Fingerfertigkeit fordernd, fällt Roggens Saxofonkonzert mit dem witzigen Ohrwurm Dr Hans im Schnooggeloch. Es ist eitel Freude, Christian Roellingers souveränem Sopransaxofon-
Gurgeln und -Jubilieren zuzuhören!
Stockwechsel: Ferran Gili-Millera übernimmt die Leitung. Als Organisator des Anlasses hat das Orchestre AMABILIS Lausanne es verdient, das Herzstück des Konzertes zu sein! Blaise-André Simons Klarinette schmeichelt sich durch Carl Maria von Weber in alle Herzen und Ohren und die Petite Suite op. 43 «In modo populari» von Cui weckt durch die fremdländischen Harmonien und Rhythmen Reisesehnsüchte. Es ist immer wieder ergreifend zu hören, was Amateure zustande bringen, wenn sie aus reiner Freude miteinander musizieren!
Als Hommage an die treuen Bratschen hat sich Maurice Dentan eine Überraschungseinlage ausgedacht: Ganz allein dürfen sie gegen ihn als Sologeiger ihren Klang verströmen im umgeschriebenen andante cantabile aus Mozarts Duo KV 424. Der krönende Abschluss – pompös und ambitiös – steht unter dem Zeichen Roggen. Vater Dominique schwingt bravourös den Taktstock, Mutter Barbara führt voll Intensität das Orchester an und der erst 18-jährige Sohn Thiérry ist der begeisternde shooting star. Was er im Koussevitzky Kontrabass-Konzert aus seinem Instrument holt, ist gewaltig, fast unglaublich! An Klangvolumen noch gewaltiger ist die folgende Bach-Stokowski Toccata. Obwohl wichtige Stimmen fehlen und das Verhältnis Aufwand-Ertrag fragwürdig ist: Das Ergebnis hat in all seiner Unvollkommenheit etwas grossartig Fulminantes an sich und begeistert Mitspieler und Zuhörer gleichermassen! 15:00 h: Die ersten der rund 80 Anwesenden wischen sich nach dem leckeren Imbiss – danke Muriel Avondet! – Mund und Hände und beginnen die Abschiedsrunde. Unverkennbar die leise Wehmut: Wie schade, nun ist es schon vorbei! Auf Wiedersehen 2008 – es hat grossen Spass gemacht!
Das ist also daraus geworden: Ein Treffen voller Musik und Freude, eine Quelle der Kraft für den Alltag. Im Namen aller Teilnehmenden ein grosses MERCI an alle Organisatoren und musikalisch Engagierten! Ihr Einsatz war enorm!
Die Antwort auf die Frage nach der Überlebenskraft der klassischen Musik? Ein Blick auf die Anwesenden zeigte: Kein Zweifel, da ist keine Gefahr. Wie ist aber die grosse Anzahl der Nicht-Anwesenden zu deuten? Desinteresse? Woran? Oder bloss Missverständnisse? Ein hoffnungsvoller Ausblick: Die Werkstätten 2008 sind offen für alle! Man muss weder eingeweiht‚ noch Superspieler sein! Herzlich willkommen!
Agnes von Känel